Therapie und Alltag
#1
Hallo,
Ich habe eine recht allgemeine Frage an alle die bereits in Therapie sind oder waren:

Kann man in Therapie sein und seinen Alltag trotz allem packen?
Ich lese so oft das die Therapie zu einem völligen Zusammenbruch des Kartenhauses führt. Bedeutet das im Umkehrschluss das ich, wenn ich mich darauf einlassen will, auch entsprechend sicher sein sollte, das ich mir entsprechende Freiräume nehmen kann? Ich meine damit jetzt nicht das es mal schwerer wird, sondern wirklich: kann man Therapie haben und trotzdem den normalen Alltag mit Job und Kindern weiter auf die Reihe bekommen?
Dankbare Grüße
Hexe
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#2
Liebe Hexe

Deine Frage mag allgemein sein, ist aber individuell völlig verschieden zu beantworten. Natürlich gibt es diese Zusammenbrüche, das lässt sich nicht in jedem Fall verhindern.

Du solltest nicht vergessen, dass Therapie sehr vielgestalt sein kann. Therapie kann dir in einer ersten Zeit helfen, stabiler zu werden - dann ist das und nichts anderes der Fokus. Wenn man stabiler ist, vermag man den Alltag insgesamt besser zu handhaben und mit der Zeit ist dann auch richtiges therapeutisches Vorgehen möglich - zusätzlich zu Job, Familie, Kinder.

Aber selbst wenn man stabil ist, kann und wird es sehr wahrscheinlich immer mal wieder Krisen geben. Wenn man das als gegeben annimmt und im Kopf behält, dass auch psychisch gesunde Menschen in Lebenskrisen kommen können, wird es einfacher, mit dieser Eventualität umzugehen und sich richtig auf die Therapie einlassen zu können.
Wenn man einen guten Kontakt zu seinem Inneren aufbauen kann, wird man instinktiv selber wissen, wann und was möglich ist.

aus eigener Erfahrung würd ich sagen, dass Druck, sei es selbstgemachter oder der von anderen Personen eine schlechte Basis für eine erfolgreiche Therapie ist. Es ist aber durchaus möglich trotz des normalen alltäglichen Stresses, erfolgreich Therapie zu machen - das steht nicht per se im Widerspruch zueinander
Man weint nicht, weil man schwach ist, sondern weil man zu lange stark sein musste.
Die schlimmste Art, einen Menschen zu vermissen, ist, neben ihm zu sitzen und zu wissen, dass er niemals wieder Teil deines Lebens sein wird.
Es ist Zeit zu gehen, wenn man sich die zentrale Frage 'Bist du wirklich für mich da?', mit 'Nein' beantwortet.
Geschichten aus einem beschädigten Leben
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#3
liebe Hexe,
ich denke, es kann zumindest zeitweise schon ein balanceakt sein, therapie zusätzlich zu allem anderen zu bewältigen. einerseits. aber es gibt ja sehr viele unterstützende aspekte dabei. und vor allem ist es wichtig auf eben diese alltagsbedingungen zu achten, wenn es am anfang darum geht, ziele der therapie auszuloten und auch festzulegen. nicht zuletzt ist die wahl der art der therapie eine möglichkeit, die belastung nur so weit zuzulassen, wie sie auch bewältigbar ist. bzw. es ist grundsätzlich wichtig diese belastung, die durch therapeutische prozesse entstehen kann eben mit in die therapie mit einzubeziehen. ich habe z.b. für mich entschieden, traumatherapie, die in richtung konkreter arbeit mit einem trauma geht, nur stationär zu machen und ambulant mich auf alles zu konzentrieren, was im ergebnis stabilisierend wirkt. dabei kann ich natürlich schon schwere phasen haben, aber bisher haben die psychotherapeutinnen immer drauf geschaut, dass ich eben letztendlich kraft in meinen ressourcen finde, um aus den schwierigen therapiephasen auch wieder raus kommen zu können.

da du kind/kinder hast ist es natürlich besonders wichtig, darauf zu achten, dass die nicht zu kurz kommen. möglicherweise kannst du dir auch unterstützung im alltag organisieren. da wäre eine mögliche anlaufstelle eine sozialberatung z.b. bei der AWO oder Caritas, je nachdem welcher träger das an deinem wohnort macht.
liebe grüße, kyra
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#4
Mit Kindern ist es in der Tat ein Balanceakt; natürlich haben die Kinder höchste Priorität - andererseits schuldet man den Kindern eben auch, dass man sich um seine eigene Gesundheit kümmert - eines geht nicht ohne das andere; und ich selbst habe die Motivation gefunden, nun wirklich in die Traumatherapie einzusteigen, weil ich mir sagen musste, ich schulde es meinem Sohn, dass ich auch in schwierigen Situationen, die mit jedem Kind irgendwann kommen werden, für ihn da sein kann ohne dann plötzlich mit meinen Triggern, Intrusionen und Flashbacks beschäftigt zu sein. Diese Situation hatte ich ja gerade letzten November.

Schiefgehen kann immer was. Aber wenn man wieder zurück ins Leben finden und den Traumata ihre Macht entziehen will, muss man etwas wagen, sonst ist es ja auch nichts anderes als Vermeidung. Mit dem richtigen Therapeuten ist jedenfalls unglaublich viel möglich.
Man weint nicht, weil man schwach ist, sondern weil man zu lange stark sein musste.
Die schlimmste Art, einen Menschen zu vermissen, ist, neben ihm zu sitzen und zu wissen, dass er niemals wieder Teil deines Lebens sein wird.
Es ist Zeit zu gehen, wenn man sich die zentrale Frage 'Bist du wirklich für mich da?', mit 'Nein' beantwortet.
Geschichten aus einem beschädigten Leben
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#5
Vielen lieben Dank euch für eure Antworten!
Ihr habt völlig Recht, eine völlige Sicherheit ist nicht möglich. Auch wenn ich es mir so Wünschen würde. Aber eure Beschreibungen machen mir Mut. Mut das es gehen kann, Therapie und Alltag.
Ich stehe genau vor diesem Dilemma das auch ihr beschreibt. Ich habe Kinder, für die ich verantwortlich bin und auch sein will. Ich möchte für sie da sein, gerade wo sie noch so klein sind. Und ich bin stabil, funktioniere in meiner kleinen Welt fast ohne Symptome. Aber ich merke auch das ich meinen Kindern auch so nicht mehr komplett gerecht werde. Selbst wenn ich den Schein wahre, ist es zunehmend schwer . Das Lächeln will mir einfach nicht richtig gelingen und mit ihnen zu albern und quatsch zu machen hat jede Freude verloren. Und auch das bin ich ihnen Schuld. Aber vielleicht ist es einen Versuch wert. Vielleicht finde ich einen Therapeuten der bereit ist in diesen Grenzen zu arbeiten die ihr so schön beschreibt. Und bis ich den finde sind die Kinder auch schon wieder größer...
Ich bin euch so dankbar! Immer wieder antwortet ihr mir und helft mir mein Leben zu sortieren ohne das ich etwas dafür geben kann. Dankeschön!
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#6
Liebe Hexe

Vielleicht musst du differenzieren, weswegen du deinen Kindern gefühlt nicht gerecht wirst.
Es gibt doch eine simple Tatsache, die alle Eltern irgendwann erleben: Kinder sind eine grosse Herausforderung, und manchmal kommt man als Eltern an die Grenzen des Leistbaren - aber das hat nicht zwangsläufig etwas mit der psychischen Krankheit zu tun.

Meinem Gefühl nach ist es wichtig, nachzuspüren, weswegen werde ich meinem Kind in einer bestimmten Situation nicht gerecht. Ist es eine allgemeine Überforderung, die in der Natur der Dinge liegt, oder ist es eine die aus meiner Krankheit resultiert. Dass man Kindern auch mal nicht vollständig gerecht wird, heisst nicht, dass dies zwangsläufig die Ursache in der Krankheit hat.
Und vorallem denk ich auch, dass man Kindern nichts vormachen sollte, denn Kinder sind sehr aufmerksame Beobachter des Umfelds, in dem sie aufwachsen, und Kinder verstehen mehr als wir ihnen oft zutrauen. Man kann seine Erkrankung von seinem Kind nicht verheimlichen; damit verursacht man auf Dauer mehr Schaden als wenn man dem Kind versucht zu erklären, was los ist, damit es auch verstehen kann, warum Mama oder Papa manchmal nicht lachen kann.
Man weint nicht, weil man schwach ist, sondern weil man zu lange stark sein musste.
Die schlimmste Art, einen Menschen zu vermissen, ist, neben ihm zu sitzen und zu wissen, dass er niemals wieder Teil deines Lebens sein wird.
Es ist Zeit zu gehen, wenn man sich die zentrale Frage 'Bist du wirklich für mich da?', mit 'Nein' beantwortet.
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#7
Liebe ssri,
Du hast völlig recht, Kinder bringen uns auch so oft an unsere Grenzen. Oft genug auch darüber hinaus. Aber das ist gefühlt anders, das kann ich kommunizieren so wie du es beschreibst. Mama ist heute müde oder genervt... Aber diese Sachen... Ich bewundere euch dafür das ihr damit so offen umgehen könnt. Ich kann akzeptieren das ich Dissoziationen habe. Und ich weiß im Grunde auch wahrscheinlich den Grund. Aber ich kann darüber nicht sprechen, nicht einmal mir gegenüber. Diese Dinge gehören nur mir. Wie kann ich dann den Kindern diese Dinge erklären, was im weiteren dann auch noch zu Fragen von der Kita und Schule führen würde wie ich meine Kinder kenne. Dafür bin ich noch nicht bereit.
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#8
Liebe Hexe,
ich will dich sehr ermutigen, therapeutische unterstützung zu suchen. ich finde es toll, dass du so frühzeitig bemerkst, dass du hilfe brauchen könntest.

Zitat:Vielleicht finde ich einen Therapeuten der bereit ist in diesen Grenzen zu arbeiten die ihr so schön beschreibt.

es ist meiner ansicht und erfahrung nach eine bedingung und grundhaltung von psychotherapeut:innen, auf die grenzen dessen zu achten, was bewältigbar ist. und wenn du deine sorgen diesbezüglich gleich am anfang ausdrückst ist ja das eins der wichtigsten ziele der therapie, im alltag stabil zu bleiben. das ist eine sehr gute voraussetzung für ein gelingen.

ich wünsche dir viel glück bei der suche. ich bin auch gerade dabei, eine psychotherapeutin zu suchen. ich habe einen teil der liste von überhaupt in der region für mich gut erreichbaren psychotherapeutinnen abtelefoniert. bei zweien stehe ich auf einer warteliste. ich habe die erfahrung gemacht, dass ich mit glück auch manchmal relativ schnell dann einen platz bekommen habe. ich will damit sagen, dass du dich nicht von langen wartelisten und absagen abschrecken lassen brauchst. es ist mühsam, jemanden zu finden. lass dir die zeit dafür, die du brauchst. ich kann z.b. nur selten bei zwei telefonnummern hintereinander anrufen, auch wenn ich bei der ersten niemanden außer dem anrufbeantworter angetroffen habe. inzwischen mache ich soviel pause zwischen den anrufen, wie ich sie brauche.

ich wünsche dir viel glück und finde es toll, dass du auf dem weg schon einige schritte gemacht hast, z.b. indem du hier im forum thematisiert hast, worum es dir geht.
kyra
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