Bin ich traumatisiert?
#1
! TRIGGER 
Hallo liebe Foristen,

nocheinmal vielen Dank, dass ich bei euch sowohl lesen als auch schreiben darf.
Dies wird eine etwas längere Sache, deswegen gleich meine Fragen vorweg für alle, die vielleicht nur wenig Zeit haben:

- Kann eine Traumatisierung von einem Experten diagnostiziert werden?
- Spielt das für die Genesung eine Rolle, ob ich ein Trauma erlitten habe oder nicht?

Ich lese bei euch schon eine Weile lang mit und habe mich hier angemeldet, um erfahrene Menschen nach ihrer Einschätzung zu fragen. Ich weiß, dass ihr mir die Frage, ob ich ein Trauma erlitten habe oder nicht, sicher nicht beantworten könnt, aber ich frage mich oft, ob ich denn überhaupt in die richtige Richtung gehe, um irgendwann mich anders zu fühlen. Im Grunde möchte ich für mich gerne herausfinden, ob ich ein Trauma erlitten haben könnte und ob es denn möglich ist bei einem Menschen im Allgemeinen so etwas zu diagnostizieren, wenn man nicht ohnehin starke Indizien in seinem Leben hat (Erinnerungen, Erzählungen etc.), die einen starken Hinweis auf ein traumatisierendes Ereignis liefern können.
Ein bisschen zu meinem aktuellen Stand:
Bei mir persönlich sind derzeit viele Symptome vorherrschend, die mir unter anderem die Diagnosen Anpassungsstörung, generalisierte Angststörung und mittelgradige Depression eingebracht haben. Ich muss dazu sagen, dass ich bei allen Therapeuten, die diese Diagnosen gestellt haben nicht das Gefühl hatte, dass sie diese nach wissenschaftlich approbierten Methoden gestellt haben, sondern mehr aus dem Bauch heraus. Die Therapien, die folgten, hatten bei mir bisher keinen besonderen Erfolg. Es mag sein, dass sie zu kurz waren oder natürlich das falsche Werkzeug basierend auf einer falschen Diagnose - wer weiß das schon.
Meine Symptome habe ich schon seit sicher 15 Jahren, mal stärker, mal schwächer, aber immer präsent. Ich kann arbeiten gehen in Teilzeit und habe Freunde und eine Familie, da könnte man sagen, da braucht man nicht zu meckern, aber mein Lebensgefühl gleicht dem eines Zombies, den man in Gips gegossen hat - zäh, falsch, verkrustet und ohne Lebensgefühl. Und so habe ich mir das alles nicht vorgestellt ;-)
Ich kann mich nicht an singuläre Ereignisse erinnern, die potenziell traumatisierend gewesen sein könnten, also kein Unfall, kein verstorbener Elternteil, keinen körperlichen Missbrauch, keine Naturkatastrophe. Ich weiß aber auch, dass es nicht singuläre Ereignisse sein müssen, die einen Menschen nachhaltig verändern können. In meiner Kindheit stand die Beziehung meiner Eltern viele Jahre lang auf Messers Schneide mit viel Gezank, Streiterei, fliegendem Geschirr ... Wir als Kinder wurden immer mal wieder genutzt als Spione, Tröster, Kümmerer und ständig hing da dieses Damoklesschwert "Was, wenn meine Eltern sich trennen?". Wenn ich heute darüber nachdenke weiß ich, ja das war nicht schön, aber soll DAS gereicht haben, dass du heute so verschroben bist? Es war nicht schön, aber war es sooo schlimm?
Also die Frage ist, wie schätze ich meine Vergangenheit ein? Wie kann ich herausfinden, was das richtige Werkzeug ist, um mir zu helfen oder wenigstens eine grobe Richtung zu haben?

Ich freue mich über jede Einschätzung und wünsche jedem, der das liest, dass es ihm gut geht!
Liebe Grüße

Karlchen
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#2
Hallo Karlchen,

es ist möglich, die Diagnose PTBS zu stellen. Dafür wendest du dich vielleicht zunächst an eine Traumaambulanz, die man häufig an psychiatrischen Kliniken findet. Dort kann man dich mindestens beraten oder sogar eine Diagnostik machen. Oder du suchst dir einen Psychiater oder Psychotherapeuten, der auf Traumatherapie spezialisiert ist. Du findest entsprechende Adressen u. a. auf der der Seite der DeGPT (Deutsche Gesellschaft für Psychotraumatologie).

Eine solche psychische Dauerbelastung, wie du sie kurz umrissen hast, kann tatsächlich zu einer frühen Traumatisierung führen. Ob das bei dir der Fall ist, lässt sich von hier aus tatsächlich nicht beurteilen.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Traumapatienten zunächst eine ganze Reihe von Therapien gemacht haben, ohne, dass sich substanziell etwas geändert hat, weil die Therapien nicht auf die spezielle Problematik zugeschnitten war.

Manchmal ist es ein langer Weg, bis man das Passende gefunden hat.

Alles Gute dir und viele Grüße

Celestine
Be Yourself. Everyone else is already taken. (Oscar Wilde)

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#3
Huhu Karlchen,

eine Traumatisierung direkt können Experten nicht diagnostizieren, aber Einschätzungen geben; sie können aber feststellen, ob eine Traumafolgestörung vorliegt, also eine PTBS.
Es gibt zwar verschiedene Definitionen von Trauma, aber da spielt eben auch immer viel subjektives rein. Es ist aber nicht so, dass es immer ein konkretes Ereignis sein muss, jahrelange emotionale Misshandlung oder Vernachlässigung können ein Kind auch schwer traumatisieren..

Was du von deiner Kindheit schreibst klingt furchtbar und sehr, sehr überfordernt für ein Kind! Von hier aus kann ich das natürlich leider nicht beurteilen, aber was du nicht vergessen darfst: Aus heutiger, erwachsener Sicht können Dinge zwar "unschön, aber nicht soo schlimm" wirken, während sie aber für Kinder viel krasser sind.
Ich finde, dass ist auf jeden Fall etwas, wo es sich "lohnen" kann mit jemandem zu sprechen, der darauf spezialisiert ist oder zumindest genug Ahnung hat. Viele Therapeuten sind da leider nicht so gut informiert, besonders dann, wenn es sich nicht um ein Einzelereignis handelt.

Celestine hat da ja schon Anlaufstellen genannt. :)
Vielleicht gibt es bei dir auch Beratungsstellen, die da auch Erfahrung haben und dir ggf schon ein bisschen helfen können?

Liebe Grüße
Kiwi
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#4
Ich habe deines jetzt auch gelesen und es ist schwierig darauf zu antworten.
Bei dem was du da beschreibst wäre eine professionelle Einschätzung sicher notwendig und
hilfreich.
Hier bei mir in Frankfurt wäre das Trauma- und Opferzentrum Frankfurt e.V. erster Ansprechpartner.
Auch was dann die Vermittlung an geeignete Therapeuten/innen angeht.
Ich hatte bei drei Adressen nur eine die nicht gepasst hat.
Eine deutlich bessere Ausbeute als wenn man selbst sucht.
Die waren kompetent und tatsächlich hilfreich.
Möglicherweise gibt es in deiner Stadt etwas ähnliches.

glg
Rhy
Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott sein.
Arthur Schopenhauer
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